Bert, 33: Ich bin seit fünf Jahren verheiratet, und wir haben zwei Kinder, ein vierjähriges Mädchen und einen knapp einjährigen Jungen. Zu unser beider Betrübnis ist spätestens mit der Geburt des Jungen die sexuelle Lust meiner Frau komplett erloschen. Sie meint, die beiden Kinder hätten alles, was an körperlicher Liebesfähigkeit in ihr steckte, aufgezehrt. Sie liebe mich ungebrochen, aber eben künftig nur mehr platonisch. Ehrlich? Die Vorstellung, bis ans Ende aller Tage enthaltsam zu leben, ist ein Horror für mich. Ich mag mir auch den Sex nicht „woanders holen“, wie meine Frau es mir sogar zugestehen würde, denn ich liebe doch sie. Was aber soll ich tun?
Hallo Bert,
vielen Dank für Ihre Frage. Tatsächlich ist genau das, was Sie hier beschreiben, ein häufiges Problemen, mit denen Paare zu mir in die Beratung/Therapie kommen. Wie so oft, habe ich leider keine schnelle und unkomplizierte Lösung für Sie, denn es ist ein vielschichtiges Problem und zum Teil auch sehr individuell, ich beschreibe hier also nur Ideen zu hypothetischen Ursachen.
Aus meiner Erfahrung heraus beginnt die abnehmende Lust häufig schon nach der Geburt des ersten Kindes und wenn ich Sie richtig verstehe, ist das auch bei Ihnen beiden der Fall gewesen. Nach dem zweiten Kind ist die Lust Ihrer Frau nun scheinbar völlig erloschen. Was Ihre Frau hier beschreibt, also das beide Kinder ihre „körperliche Liebesfähigkeit“ aufgezehrt haben, macht für mich den Eindruck, als könnte es um das Bedürfnis nach Abgrenzung gehen. Die Symbiose, die Mutter und Kind eingehen, ist eine besondere und sehr intensiv, emotional sowie auch körperlich. Menschen schwanken in der Regel zwischen dem Bedürfnis nach Autonomie vs. Bindung und beides in eine gesunde Balance zu bringen ist sicherlich erstrebenswert, wenn auch nicht immer in allen Phasen des Lebens erfüllbar. Ich kann mir vorstellen, dass der Aspekt der Autonomie bei Ihrer Frau in den letzten Jahren etwas zu kurz gekommen ist.
Die fehlende Lust Ihrer Frau mit Ihnen schlafen zu wollen, könnte man also als einen Versuch der Abgrenzung verstehen. Im Sinne, sich nicht noch weiter verbinden/ verschmelzen zu wollen.
Was könnte in diesem Fall hilfreich sein? Zu allererst ein Gespräch zwischen Ihnen beiden, in welchem es darum geht, weniger darüber zu sprechen, auf was Ihre Frau zur Zeit nicht Lust hat und stattdessen mehr darüber, was sie sich vorstellen kann. Welche Art der Nähe empfindet sie als angenehm und welche Art der Berührungen?
Eine andere, sicherlich auch interessante Unterhaltung wäre, in welchen Rollen Sie beide sich derzeit befinden, Sie erfüllen. Damit meine ich z.B. die Rolle des Vaters, der Mutter, des Sohnes, der Tochter, der Arbeitskolleg*in, Freund*in usw. Das hat sehr viel damit zu tun, wie wir uns selbst als Persönlichkeit wahrnehmen. Ich kann mir vorstellen, eine Frau, die sich fast nur noch ausschließlich als Mutter wahrnimmt, also versorgend und aufopfernd, es als wohltuend empfinden könnte, sich auch wieder andere Aspekte ihrer Persönlichkeit zu spüren und zugleich auch von anderen dafür geschätzt zu werden – außerhalb ihrer Familie. Miteinander offen darüber zu sprechen und gemeinsam zu überlegen, wie sie sich gegenseitig Gelegenheiten schaffen können, in welchen Sie sich nicht nur als Mutter und Vater, oder Ehefrau und Ehemann erleben, ist sicherlich hilfreich.
Die gute Nachricht ist also, es muss nicht so bleiben, wie es jetzt ist. Es lohnt sich, für Sie beide, sich gemeinsam auf Ursachenforschung zu begeben und Lösungen zu kreieren.